Humboldt-Universität zu Berlin - Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM)

Drei Fragen zur Debatte über eine Migrationsobergrenze in Schulen an Aileen Edele
Foto: Note Thanun (Unsplash)/Screenshot: BIM 2025
Humboldt-Universität zu Berlin | Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) | Aktuelles | News | Drei Fragen zur Debatte über eine Migrationsobergrenze in Schulen an Aileen Edele

Drei Fragen zur Debatte über eine Migrationsobergrenze in Schulen an Aileen Edele

Bundesbildungsministerin Karin Prien hat sich offen gezeigt, den Anteil von Schüler:innen mit Migrationshintergrund in Schulklassen zu begrenzen. Prof. Dr. Aileen Edele liefert eine Einschätzung dazu. / Federal Education Minister Karin Prien has shown herself open to limiting the proportion of pupils with a migration background in school classes. Prof Dr Aileen Edele provides an assessment.





„Migrantische Schulkinder sind unsere Hoffnungsträger“




Prof. Dr. Aileen Edele (Foto: Patricia Ecriche) gibt eine Einschätzung zur aktuellen Debatte um „Obergrenzen“ in Schulklassen. Die Fragen stellte ihr Kollege Wolf Farkas. 




Prof. Dr. Aileen Edele ist Co-Direktorin des BIM und leitet die Bildungsabteilung.



1.

Bundesbildungsministerin Karin Prien hat sich offen gezeigt für den Vorschlag, den Anteil von Schüler:innen mit Migrationshintergrund in Schulklassen zu begrenzen, Stichwort „
Obergrenze“. Was hältst du davon?


Aileen Edele: Ich halte den Vorschlag nicht für zielführend. Die Idee ist keineswegs neu und es wurde sogar schon versucht, sie umzusetzen, etwa mit dem sogenannten busing in den 1970ern in den USA. Dadurch sollte die anhaltende Segregation von Schwarzen und weißen Kindern und Jugendlichen in den Schulen überwunden werden, das hat aber nicht funktioniert. Zentral ist in meinen Augen die Frage: was würde es überhaupt bringen, den Anteil von Kindern mit Einwanderungsgeschichte in Schulklassen zu begrenzen? Bildungsforschende haben schon mehrfach untersucht, wie sich der Anteil von Schüler:innen aus eingewanderten Familien in der Klasse überhaupt auf den Lernerfolg auswirkt. Die Analysen zeigen, dass dieser Anteil nicht ausschlaggebend ist. Relevanter für den Lernerfolg ist der Anteil von Schüler:innen, deren Familien über geringe Bildungsabschlüsse und wenig sozioökonomische Ressourcen verfügen bzw. die niedrige Lernstände haben, unabhängig von einem eventuellen Migrationshintergrund. Vor allem aber zählt, dass die Kinder guten Unterricht erhalten, der jeweils an ihrem individuellen Lernstand ansetzt. Dazu braucht es qualifizierte Lehrkräfte, und die fehlen oft, gerade an Schulen in benachteiligten Lagen 
Schwierig finde ich zudem, dass die Debatte sehr stark suggeriert, dass Kinder mit Migrationshintergrund in erster Linie eine Last sind, die auf möglichst vielen Schultern verteilt werden muss. Das dürfte sich nicht gerade vorteilhaft auf das Selbstkonzept der Betroffenen auswirken und auf ihr Zugehörigkeitsgefühl in der Schule – und beides ist auch wichtig für den Lernerfolg. Man könnte ja auch sagen: Das sind unsere Hoffnungsträger und Fachkräfte von morgen – wie sorgen wir dafür, dass sie ihr Bildungspotenzial voll entfalten? 


2.

Und was denkst du über Priens Forderung nach verpflichtenden Sprach- und 
Entwicklungstests im Vorschulalter?

 
Richtig ist, dass die frühe Bildung ausschlaggebend ist. Wenn man früh erkennt, dass ein Kind irgendwo einen Rückstand hat, dann kann man im Vorschul- und auch Grundschulalter wirksam gegensteuern. Später wird das schwieriger und ist übrigens auch kostenintensiver. Und um wirksam zu fördern, muss man genau wissen, wo Kinder stehen. Dazu ist eine formale Diagnostik, also Sprach- und Entwicklungstests, notwendig. Von daher halte ich diesen Vorschlag für wesentlich sinnvoller.  Ich würde allerdings den verpflichtenden Charakter nicht so hervorheben. Das suggeriert, Eltern würden nicht wissen wollen, wo ihre Kinder stehen und müssten dazu gezwungen werden. Aber flächendeckend bereits im Vorschulalter den Sprachstand zu erheben und bei Bedarf dann eine wirksame Förderung umzusetzen, wie das z.B. Hamburg schon sehr erfolgreich macht, das kann ich als Forderung einer Bildungsministerin gut nachvollziehen.   

 
3.

Was wären aus deiner Sicht Alternativen, um den Spracherwerb von Kindern
 aus Einwandererfamilien zu verbessern? In der Schweiz zum Beispiel beginnt
 die Schulpflicht bereits mit dem Kindergarten.


Dass Kinder früh die Gelegenheit erhalten, die Unterrichtssprache zu lernen, ist definitiv sinnvoll. Und wenn sie in ihrer Familie andere Sprachen sprechen, dann ist der Kindergarten dafür besonders wichtig. Ob man dafür eine Pflicht braucht, bezweifle ich, aber man braucht auf jeden Fall ein gutes, flächendeckendes Angebot. Die Bildungspolitik sollte sicherstellen, dass für alle Kinder Kitaplätze zur Verfügung stehen und dass der Zugang dazu möglichst niedrigschwellig ist. Es fehlen ja derzeit immer noch rund 300.000 Kita-Plätze, gerade für die unter 3-jährigen. Wichtig ist auch, dass die Kitas auch wirklich Bildungsqualität anbieten, da ist noch Luft nach oben. Das schließt unbedingt eine qualitativ hochwertige Sprachförderung ein, die die Kinder mit Förderbedarf verbindlich erreicht.



* * *