Zwar wachsen die Erkenntnisse und Informationen über Migrant*innen in Deutschland und ihre sozioökonomische Integration und Teilhabe stetig an, jedoch wird die Wechselwirkung von Migrations- und Integrationsprozessen selten als zusammenhängendes Phänomen untersucht. So existiert eine umfassende Literatur zu Migrationsursachen, jedoch gibt es kaum Erkenntnisse darüber, wie sich komplexe Migrationsprozesse selbst auf spätere Migrationsentscheidungen und die Integration von Migrant*innen in Zielländern wie Deutschland auswirken. Umgekehrt gibt es keine belastbaren empirischen Belege dazu, wie sich unterschiedliche sozio-ökonomische, kulturelle, politische, oder psychologische Integrationsverläufe in den Zielländern, sowie (freiwillige oder erzwungene) Rückkehr auf Migrationsaspirationen von Angehörigen und Bekannten in Herkunftsländern auswirken. Grund für diese Forschungslücken ist ein Mangel an Daten, mit denen alle Phasen der Migration (bei Aufbruch, unterwegs, nach Ankunft und nach Rückkehr) zusammenhängend untersucht werden können: bisher wird Migration hauptsächlich retrospektiv, d.h. nach Abschluss des Migrationsprozesses beleuchtet und nur selten mit Biografien vor der Migration sowie mit den sozialen, politischen und kulturellen Kontexten, die sie vor Ankunft im Aufnahmeland bedingen, verknüpft. Studien, die wiederum Migration und (potenzielle) Migrant*innen in Herkunfts- und Transitländern betrachten, vernachlässigen ebenso die nachfolgenden Prozesse der Weiterwanderung und Integration. Über den Zusammenhang dieser komplexen, internationalen und über transnationale Netzwerke vermittelten Verflechtungen und Wirkungsbeziehungen von Migrationsentscheidungen, Migrationsprozessen und Integrationsdynamiken existieren bis dato kaum wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse. Auch die Wechselwirkungen zwischen diesen Zusammenhängen mit transnationalen (migrations)politischen Prozessen sowie mit regionalspezifischen Migrationskulturen bleiben damit unterbeleuchtet. Um derart differenziert Migrations- und Integrationsmechanismen verstehen zu können, müssen individuelle Migrationsentscheidungen, Selektionseffekte, und der Einfluss transnationaler Netzwerke und Rahmenbedingungen zusammenhängend untersucht werden.
Das Projekt TRANSMIT im Rahmen der DeZIMFG hat zum Ziel, diese Lücke zu füllen, indem es eine langfristig orientierte und integrierte Dateninfrastruktur aufbaut, die quantitative und qualitative Daten in Ursprungs-, Transit- und Zielländern sammelt und systematisch verknüpft. Ergänzend werden bestehende Daten wie die IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten in Deutschland (N~2500) für die Hypothesenbildung und -überprüfung herangezogen und eine Vergleichbarkeit relevanter Indikatoren sichergestellt. Die im TRANSMIT Projekt erhobenen Daten umfassen sowohl (potenzielle) Migrant*innen als auch die nicht-migrantische Bevölkerung in Herkunfts- und Transitländern sowie in Deutschland und ermöglichen so umfassende Querschnitts- sowie Längsschnittanalysen hinsichtlich der Wechselwirkung von Migrations- und Integrationsprozessen. Die Datenerhebungen in Deutschland und entlang unterschiedlicher Migrationsrouten umfassen sowohl repräsentative Befragungen (jeweils N~1200-3000), psychologische Instrumente als auch qualitative Methoden.
Auf dieser Grundlage können individuelle und familiäre Hintergründe, Erfahrungen, und insbesondere (transnationale) Netzwerke im Zeitverlauf verfolgt und systematisch mit Migrationsentscheidungen, -prozessen und Integrationsdynamiken in Bezug gesetzt werden. Frauen und Familien kommt dabei ein besonderer Fokus zu. Die erhobenen Daten ermöglichen empirische Analysen auf der Ebene von Individuen, Familien, Haushalten, Regionen und verschiedenen Akteursgruppen. Gleichzeitig können systematische Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen von (potenziellen) Migrant*innen sowohl innerhalb Deutschlands, als auch über Ländergrenzen hinweg herausgearbeitet werden.
Aus der gegenwärtigen Forschungslage und basierend auf der Pilotphase ergeben sich für TRANSMIT folgende - nicht abschließende - Forschungsfragen von hoher gesellschaftlicher Relevanz:
1- Warum wandern manche Menschen aus, während andere unter ähnlichen sozioökonomischen Umständen zurückbleiben?
2- Welche Faktoren beeinflussen die sozioökonomische Zusammensetzung von Migrant*innengruppen und wie wirkt sich diese Selektivität auf Integrationsprozesse in Deutschland aus?
3- Wie beeinflussen transnationale Netzwerke (bspw. Familie, Verwandte, Bekannte, Informationen) Migrationsprozesse und die sozioökonomische Integration von Migrant*innen in Deutschland? Welchen Erklärungswert besitzen psychologische Faktoren für Migrationsentscheidungen und Integrationsprozesse?
4- Können Netzwerkstrukturen als protektiver Faktor bei psychologischen Herausforderungen von Integrationsprozessen genutzt werden?
5- Welche Faktoren spielen besonders bei Frauen und Familien eine Rolle für ihre Teilhabechancen und Integrationserfolge?
6- Wie sind diese Prozesse durch Migrationskulturen, Narrativen und Bildern von Zielregionen geprägt und wie beeinflussen sie dieselbigen?
Mit seinem Fokus auf in Wechselwirkung stehenden globalen Migrations- und Integrationsprozessen beschäftigt sich das TRANSMIT-Projekt mit Fragen von höchster politischer Relevanz für Deutschland.